Regionalleitstelle Nord: Malochen bis zum Umfallen (sh:z - 14. November 2009)
Eigentlich sollte mit der Kooperativen Regionalleitstelle Nord in Harrislee alles besser werden. Doch nicht nur die Kinderkrankheiten der neuen Technik erweisen sich als ernsthaftes Problem (wir berichteten). Inzwischen gehen auch die Mitarbeiter auf dem Zahnfleisch. Unzumutbare Bedingungen machen die hochmodernen Arbeitsplätze zur Qual. Zu leiden haben darunter nicht nur die Beschäftigten selbst, sondern auch die Rettungsdienst-, Feuerwehr- und Polizeikräfte im Einsatz. Frustriertes Personal, Kommunikationsprobleme, Systemausfälle – die Vorzeigeleitstelle als Ärgernis und Sicherheitsrisiko.

Man gehe in einen Käfig hinein und komme nach der Schicht schweißgebadet wieder heraus – so umschreibt ein Kenner der Situation die Arbeit der Disponenten im Polizeidienst. Früher nahmen acht Beamte in den Kreisen Nordfriesland, Schleswig-Flensburg und in Flensburg Notrufe entgegen und koordinierten das Einsatzgeschehen jeweils in einem Bereich, den sie kannten wie ihre Westentasche. Jetzt sind es vier Mitarbeiter für den gesamten Norden. Die übrigen Posten sollten durch modernste Leitstellen-Technik ersetzt werden – so das Spar-Kalkül des Landespolizeiamtes. In der Praxis geschieht das Gegenteil: Die Technik streikt so oft, dass unterm Strich weniger Mitarbeiter deutlich mehr Arbeit zu verrichten haben. Das bleibt nicht ohne Folgen.

Als Vertreter der Polizeigewerkschaft die Leitstelle besuchten, waren sie zunächst beeindruckt von den modernen Arbeitsplätzen. Doch die Begeisterung schlug schnell in Kritik um, nachdem sie von Mitarbeitern über die belastenden und frustrierenden Arbeitsumstände informiert worden waren. Dokumentiert findet sich deren Mängelkatalog im aktuellen „Polizeispiegel“ der Polizeigewerkschaft (siehe Info-Kasten). Unter Stress leiden nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Qualität der Einsatzbearbeitung. „Insgesamt haben wir für uns festgestellt, dass eine weitere Verwendung auf dieser Dienststelle ohne eine deutliche Personalaufstockung nur wenig reizvoll und insbesondere im Hinblick auf die eigene Gesundheit auch nicht sinnvoll sein kann“, wird aus dem Mitarbeiterpapier zitiert – das alles, obwohl die Hightech-Leitstelle erst am 8. September in Betrieb ging.

Die Probleme zeigen sich auch in der täglichen Zusammenarbeit mit den Einsatzkräften vor Ort. Polizisten klagen darüber, dass sogar die Kontaktaufnahme mit der Leitstelle nicht immer zuverlässig möglich ist. „Die haben dort so wenig Personal, dass man es manchmal fünf Mal hintereinander versuchen muss, bis man jemanden erreicht“, sagt ein Streifenbeamter, der aus Furcht vor Repressalien ungenannt bleiben möchte. Vor wenigen Tagen erst sei ein flüchtiger Verdächtiger nur deswegen entkommen, weil die Koordination zwischen den Streifenwagen und der Leitstelle nicht funktioniert habe. Der Stress sorge für enorme Reibungsverluste, dabei gehe insbesondere am Wochenende bei hohem Einsatzaufkommen der Überblick völlig verloren. Andere Polizisten berichten davon, wie sie zu einem mehr als 20 Kilometer entfernten Einsatzort rasen mussten, „obwohl der nächste Streifenwagen nur zwei Kilometer vom Tatort entfernt war, aber das hatte man übersehen.“ Allerdings: Den Kollegen in der Leitstelle geben die Streifenbeamten nicht die Schuld an der Misere. „Die können ja nichts für diese miesen Arbeitsbedingungen“, heißt es, „die werden von der Führung im Regen stehen gelassen.“

Auch im kommunalen Teil der Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst läuft es nicht rund. So schildert ein erfahrender Rettungsdienstmitarbeiter, wie der Versuch, über die Leitstelle einen Notarzt anzufordern, scheiterte. Erst nach 18 Minuten habe man ihn im Krankenhaus erreicht, über dessen Privathandy. Sönke Schloßmacher, Chef der Schleswiger Feuerwehr, berichtet von „Anfangsproblemen“. Diese seien aber zumindest aus Feuerwehrsicht behoben worden. Die Leitstellen-Mitarbeiter seien sehr kooperativ.

„Die personelle Belastung ist weitaus höher als wir angenommen haben“, nimmt Sacha Münster, Sprecher des kommunalen Leitstellen-Teils, kein Blatt vor den Mund. Übermäßiger Stress bis zur Gesundheitsbelastung seien nicht von der Hand zu weisen. Bei der Planung sei man davon ausgegangen, dass die Technik bei 200 bis 250 Einsätzen pro Tag zumindest zu 60 bis 70 Prozent funktioniere, sagt er. Doch davon könne nicht die Rede sein.

Beim Landespolizeiamt arbeitet man an Lösungen, sieht jedoch keine sicherheitsrelevanten Probleme. Die Hinweise würden sehr ernst genommen. Um den Arbeitsdruck zu mildern, würden weitere Mitarbeiter aus den Polizeidirektionen Flensburg und Husum zur Leitstelle abgeordnet. Ziel sei, Mitarbeiter auszubilden, die im Bedarfsfall unverzüglich Leitstellenaufgaben übernehmen können. Mit dem Hauptpersonalrat sei vereinbart worden, nach einem Jahr Bilanz zu ziehen und die Frage der Personalstärke neu zu beurteilen.

Genervt von den anhaltenden Problemen zeigt sich der Landrat des Kreises Schleswig-Flensburg, Bogislav-Tessen von Gerlach. Die zahlreichen Systemausfälle seien „katastrophal für die Arbeitsabläufe“. Kritik übt er auch an der Landespolizei. Der Zustand der Leitstelle sei nicht „vertragskonform“. Deshalb erwäge man, die noch ausstehenden Zahlungen an das Land einzufrieren.